Hilmar Ebert, Aachen

Kombiniere ... Matt!

Lektion 5: Der berühmte Herr „N. N.“ ...

 Eine besondere Faszination geht seit eh und je von Kombinationen aus, die das „Ziel aller Ziele“ im Schachspiel, das Matt, entweder zwingend verwirklichen oder doch zumindest als Idee beinhalten – als tragender Pfeiler, als glanzvolle Höhepunkte der Partie!

 Nur böse Zungen können behaupten, das vielzitierte „N. N.“ über so vielen Diagrammen könne vom la­teinischen „nomen nescio“ abgeleitet sein („den Namen weiß ich nicht“); das hieße doch, den tatsächlichen, leibhaftigen, unendlich produktiven Herrn verleumderisch in seiner Existenz in Abrede zu stellen – ihn, der so viel für unser Schachspiel getan hat, indem er in altruistischer Weise den Gegnern glänzende Kombinationen ermöglichte! Ob in freien Kaffeehauspartien, ob als Kanonenfutter in Simultanvorstellungen der Meisterspieler auf der Durchreise, er hat die Schachkunst bereichert wie kaum ein anderer Spieler ...

1

Ahues - N. N.

Dresden, 1907

Weiß am Zuge

2

Najdorf - N N.

Buenos Aires, 1942

Weiß am Zuge

3

Rijs - N. N.

Amsterdam, 1974

Weiß am Zuge

4

Tajmanow - N. N.

UdSSR, 1964

Weiß am Zuge

5

Rossolimo - N. N.

Paris, 1944

Weiß am Zuge

6

Kaspajan - N. N.

Simultanpartie, 19..

Weiß am Zuge

 7

Tartakower - N. N.

Blindsimultanpartie

Wien, 1921

Weiß am Zuge

8

N. N. - Mason

London, 1883

Schwarz am Zuge

9

N. N. (!) - Tarrasch

Simultanpartie

Frankfurt, 1912

Weiß am Zuge

Lösungen:

Nr.1: 1.La3! will erst einmal gefunden sein! Herr N. N. ließ sich - mangels besserer Züge - die Idee nach 1...Tb1: zeigen: 2.Dh6+! Kh6: (sonst folgt 3.Df8 matt) 3.Lf8+ Kg5  4.h4+ Kg4  5.Le2 matt (oder 4...Kh5  5.Le2 matt). Auch 3...Kh5 würde nach 4.Le2+ Kg5  5.h4 matt bloß Zugumstellung bedeuten.

Nr.2: Nach 1.Se5:! verliert Schwarz eine Figur (1...Le6 und nun z. B. 2.a4 c5  3.O-O oder 3.Sd6 usw.). Herr N. N. schnappte sich aber, wie es nun einmal seinem Naturell entspricht, die Dame: 1...Le2:  2.Sd7+ Ke8  3.Sb8+! c6 (3...Lb5:/3...Kf8/3...Db5:  4.Td8 matt)  4.Sd6+ Kf8  5.Sd7 matt!

Nr.3: 1.Sd5! Dd2: - denn um das Matt zu verhindern, müßte Herr N. N. die Dame ins Geschäft stecken, und das tut er bekanntlich nicht, er ist ja schließlich kein Computer! - doch nun hatte Weiß ein forciertes Matt in 5 Zügen vorbereitet: 2.Se7+! Kh8  3.Th6:+ gh6:  4.g7+ Kh7  5.gf8:S+! Kh8  6.Tg8 matt.

Nr.4: 1.Lc4! riß unseren Freund N. N. aus seinen (Mehrbauer-)Träumen: 1...Dc4: (auch 1...Sc4:  2.Tg7:+  Kh8  3.Td7+ De5  4.T1f7 Kh8  5.Tg7+ Kh8  6.Tg6: verzögert das Leiden nur unwesentlich) 2.Tg7:+! Kh8 (2...Kg7:  3.Le5+ und die Dame geht verloren, wie Monsieur stolz erkannt hat) 3.Le5:! Dc2: (3...Df1:+  4.Kf1: Te5:  5.Dc3 und es würde rein materiell keinen  Spaß mehr machen) 4.Tf8+!! Tf8:  5.Tg6:+ aufg. (5...Tf6  6.Lf6: matt).

Nr.5: Man beachte die starke Angriffsfigur auf f3!! Rossolimo opfert in genialer Weitsicht mit 1.Tf5:! zunächst die Qualität, mit der Drohung (z.B. nach 1...cd4:?) 2.Dh6:+! gh6:  3.Sf6+ Kh8  4.Tg8 matt oder 2...Kh6:  3.Th1+ Kg6  4.Tg5 matt.

 Nach 1...ef5: schlug der große Kombinationskünstler dennoch auf h6: 2.Dh6:+!! Kh6: (2...gh6:  3.Sf6+ wie gehabt oder 2...Kg8  3.Sf6 matt) 3.Th1+ Kg6  4.Kf4!! - der weiße Monarch greift ohne Furcht und Tadel selbst mit in das Geschehen ein - es droht nun (z. B. nach 4...fe4:) 5.Lh5+ Kh7(6)  6.Lf7+ (Dh3 7.Th3: matt). 4...De6 (Dd6 ändert nichts)  5...Th8! - ein "antikritischer", Selbstverstellung vermeidender Zug in der Problemschachterminologie - aufg., da nach 5...De5:  6.De5: -bel.  7.Lh5 matt folgen würde, auch 4... Dd8 (De7, Le7) 5.Lh5+ nebst 6.Lf7+ und 7.Th4 matt keinen Ausweg mehr bieten.

Nr.6: Der wohl größte Studienkomponist aller Zeiten, dessen Partiebegabung auch von Botwinnik anerkannt wurde, hatte eines Tages das große Vergnügen, dem hochberühmten Herrn N. N. persönlich zu begegnen ...

1.Tc6:! Lc6:  2.Dc4+ Kb7  3.Dc6++! ließ die Wahl zwischen aussichtslosem materiellen Rückstand und glanzvollem Untergang: Qualitäts- und Damenopfer ziehen den König in die Schußbahn der Springer-Läufer-Batterie, die nach 3...Kc6: feuern darf: 4.Se5+ Kc5  5.Sd3+ Kd4  6.Kd2! mit der herrlichen Mattidee 6...-bel. 7.c3 matt.

Nr.7: Gerade hatte sich "Meister" N. N. nach 1.Sc5+ oder 1.Sa5+, wie er erwartet hatte, zu langem, qualvollem und ebenso sinnlosem Kampf entschlossen, als ihn die Mattansage in 8 Zügen des Blindsimultanspielers wie ein Donnerschlag traf:

1.Df7:+! Sf7:  2.e6+ De6:  3.Se6: Kd7  4.Sc5+ Kd8  5.Sb7+ Kd7  6.Lh3+ f5  7.Lf5: matt. Präzise wie ein Computer! (2...Ke8  3.d7+! Kd8  4.Se6:+ Ke7  5.dc8:S+! nebst Matt). Auf 3...Ke8 wäre 5.d7+ Ke7  5.dc8:S+! Ke8  6.Lc6 matt, wie schon in den Varianten zuvor, als alternative Mattidee aufgetreten.

Nr.8: Das Wunderwerk der nun folgenden Kombination ließ an der Authentizität der angeblichen Partie berechtigte Zweifel aufkommen, sollte Herr N. N. hier etwa sogar als Opfer einer Kunst-Kombination verleumdet worden sein ...?!

1...Lb5!  2.ab5: Shg3+!! ("Se non è vero, É molto ben trovato" - Giordano Bruno) und für die schwarze Dame müssen nicht weniger als 6 Steine den Weg freiräumen: 3.Sg3: Sg3:+  4.hg3: hg3:+  5.Kg1 Th1+  6.Kh1: Th8+  7.Kg1 Lc5+  8.Sc5: Th1+  9.Kh1: Dh8+  10.Kg1 Dh2 matt.

Nr.9: Nach dieser alle Realität sprengenden Niederlage ist die Zeit gekommen, auch Herrn N. N. selbst zur ruhmreichen Tat schreiten zu lassen: 1.Lf7:+! (Nanu? Der Schwarze ist der Simultanspieler!) 1...Kf7:  2.Se6!! und der große Tarrasch gab sich geschlagen (2...Ke6:  3.Dd5+ Kf6  4.Df5 matt; 2...Kf6  3.Df3+ nebst Matt; 2...Kg6  3.Dg4+ (oder Sd8:) usw.; 2...Kg8(!)  3.Sd8: und der herrliche "erstickte" Damenfang hätte entschieden).

Doch gab sich der Weiße als der berühmte Problemkomponist und Schachexperte Freiherr von Holzhausen zu erkennen, und N. N.'s kurzer Ruhm war vergessen - zu Tarraschs Trost?!