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hilmar ebert, aachen
Idee
und Form eines Viersteiners ...
In
den 70er- und 80er-Jahren baute ich SAM - die Wenigsteinersammlung -
auf. Sie konnte und kann in Tausenden von Fällen, bei eigenen
Anfragen wie solchen von Schachfreunden aus aller Welt, Fragen wie
Vorgängerschaft, Ideenvorläufer, Preiswürdigkeit usw. klären,
Inkorrektheiten speichern, Teilgebiete des Wenigsteiners
systematisieren und vieles mehr.
Stichproben
zeigten immer wieder, daß nahezu sämtliche Wenigsteiner aus üblichen
und zugänglichen Quellen erfaßt sind – es sind schon bei Übergabe an
meinen langjährigen Freund und Mitautor Hans Gruber vor einigen
Jahren über 25.000 Stücke gewesen!
Ein
besonderer Liebling unter den eigenen orthodoxen Viersteinern war
und ist Nr. 1, da sie die Idee – antikritische
Schnittpunktüberschreitung zwecks Sperrmeidung – in einer besonders
ästhetischen Form zeigt: hübsche „pseudosymmetrische“
Anfangsstellung, Parallelogramm in der Schlußstellung mit Idealmatt,
auch der weiträumige Schlüssel trägt dazu bei, den Eindruck einer
Letztform zu bewirken.
1
hilmar ebert
3917.problem II 1977

Matt
in 6 Zügen C+
1.Sd4? (1...Ke1? 2.Ta2(b2), aber: 1...Kc1!)
1.Ta2! Kc1 2.Sd2 Kd1 3.Sb3 Ke1 4.Kg2 Kd1 5.Kf3 Ke1 6.Ta1#
Bei
einem französischen Komponistentreffen in Mulhouse im schönen Elsaß
Anfang der 80er-Jahre benötigten die schnellsten Elitelöser ca. 10
Minuten, um dann kopfschüttelnd zu erfahren, daß der amerikanische
Schachcomputer Belle nur 30 Sekunden gebraucht hatte, damals
war Belle damit um ein Vielfaches schneller als alle bisherigen
Programme! Das Stück wurde auch zur häufigen Testaufgabe für
Schachcomputer und Löseprogramme, u.a. von Dr. Lindner in seinen
frühen Mensch-Maschine-Vergleichen. Heute benötigt z.B. Alybadix
keine Sekunde!
Der Versuch, den Reichtum der Aufgabe durch
Varianten zu steigern, schlug fehl: mit Sf1 statt auf f3 ergibt sich
eine Variante mit bloßer Zugumstellung (1...Ke1 2.Kg2! Kd1 3.Kf3
usw.), auch ist die nicht verlängerbar - z.B. ergibt sich mit S®g1
und sK®c1
eine andere Lösung!
Die
Aufgabe sollte mich nie wieder richtig loslassen! Trotz SAM erkannte
ich in Nr. 2 erst viele Jahre später eine direkte
Geistesverwandschaft: die Idee des antikritischen Zuges wegen
Sperrmeidung war also schon 1958 dargestellt worden! Auch die Form
wies teilweise Übereinstimmungen auf: das gleiche Idealmatt mit
Parallelogramm am Schluß, hier aber auch schon zu Beginn, also
„Parallelogramm-Wechsel“ – ebenfalls eine – etwas anders begründete
- Letztform! In Nr. 1 ist immerhin der Schlüssel länger und
effektvoller, auch nimmt der weiße König bei aktiver am Geschehen
teil, möglich durch 6 statt 4 Züge, irgendwie gefiel mir Nr. 1
deshalb noch ein bißchen mehr, und Nr. 2 scheint mir daher ein
klarer Vorläufer, aber kein vernichtender Vorgänger.
2
F.
Blaschke
Schach-Echo 1958
Matt
in 4 Zügen C+

1.Tg6! Kh4 2.Sg7 Kh3 3.Sf5 Kh2 4.Th6#
Damit
war die Geschichte noch keineswegs am Ende angelangt ... Vor kurzem
erst, im Jahre 1999 (!), entdeckte ich bei einem Besuch zusammen mit
Hans Gruber in der Königlichen Bibliothek in Den Haag (zwecks
he-chess 04 = Early Helpmates)
Nr. 3, als Textnotation recht versteckt (bisher SAM
entgangen?!) - ein überraschender und zugleich mysteriöser Fund!
Ob
Emanuel Lasker gemeint ist?! Sicherlich, aber dies dürfte nicht als
Partieendspiel zitiert, vielmehr als Scherzaufgabe zu verstehen
sein.
Angegeben ist „1.Ka2! (1.Kb1, Tb3, Tb5+, Tb6, Tb7, Tb1 Sd5?)
Ka6 ...“ – ohne (!) Angabe der „eigentlichen“ Lösung meines
Sechszügers (1.Ta8! usw.). Wenigstens keine so frühe Vorgängerschaft
der Idee ...
3
Lasker (!!) - A.
Schachkuriosa
(F.
Lindgren, o. J.) S. 90 / 92 (Text)

„1.Ka2!“
,Da ich im Wenigsteiner seinerzeit keine
Steigerungsmöglichkeiten mehr sah, kam nach Jahren die Idee einer
Doppelsetzung auf: Nr. 4 zeigt die erreicht Form, die neben den
thematischen Steinen bloß drei Bauern benötigt
Give-and-Take-Schlüssel, Doppelsetzung des
kritischen Zuges zwecks Sperrmeidung, auch
zweimal
Springeropfer,
Echomatts und Echowendungen.
4
hilmar ebert
Stern, 28.2.1991

Matt in 7 Zügen C+
1.Tg2! Kf1: 2.Ta2! Ke1 3.Sf2 Kf1 4.Kh2 Ke1 5.Kh3 Kf1 6.Sd3 Kg1
7.Ta1#
1...Kd1: 2.Ta2! Kc1 (!) 3.Sd2 Kd1 4.Sb3 Ke1 5.Kg2 Kd1 6.Kf3 Ke1
7.Ta1#
(1...a2? 2.Sb2 ...#4; 2...Ke1 3.Kg2 ... 7.Ta1#)
Ob hier ebenfalls schon Letztform
erreicht ist?! Für Hinweise auf
konstruktive Verbesserungen (oder das mysteriöse
Lasker-Stück) wäre ich dankbar! (hilmar.ebert@t-online.de
oder
http://www.hilmar-ebert.de). Auch
die Steigerung auf eine
Dreifach-Darstellung wäre schon einen Gutschein über mehrere
Bände aus he-chess wert ...!
h.e.
Quelle
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Source:
idee & form, Schweizerische Zeitschrift für Kunstschach,
Jahrgang 17, No 66 / April 2000 S. 1914-1915.
(Herbert Angeli, Fellmattweg 11, CH-3065 Bolligen)
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