# 191 by © Hilmar Alquiros, Philippines

 

hilmar ebert, aachen

Komponist gegen Computer (3)

 

Die Genie-und-Wahn-Variante.

 

oder:

In wievielen Zügen kann ein Problemschachexperte
 2700 Blitz-Elopunkte eines Schach-Androiden
in die Knie zwingen?!

 

Weiß: h.e. (Schachschriftsteller, Problemkomponist)

Schwarz: Fritz-5.32 ELO ca. 2700, AMD-K6-II 3D-Now! 300 MHz

5-Minuten-Blitz-Aachen, 15.07.1999

Der Altweibersommer läßt gerade ein wenig nach ...!

 

 Nach früheren Beispielen gegen Fritz-3 (lang, lang ist‘s her) und Fritz-4 (in dieser neuen Folge) nun erstmals auch gegen Fritz-5. Bei Fritz-4 dauerte es 17 Züge bis zur Gewinnstellung für Weiß, 25 Züge für Schwarz. Kann man gegen Fritz 5.32 auf einem schnellen K6-II noch früher eine nachweisliche Gewinnstellung erreichen?! Wäre ein „Geniestreich“ nach, sagen wir, einem knappen Dutzend Züge - doch vermessen?! Und ist es Wahnsinn, hat es doch Methode ...:

 

1.e4!!

In der Eröffnungstheorie noch recht geläufig: ein recht bewährtes Verfahren auch so mancher Weltmeister, die kombinatorische Initiative nicht allzu früh aus der Hand zu geben (1.d4?! e5!!)

1... e5(!)

Etwas aus der Mode, aber gar nicht so schlecht! Nach profanen Zügen wie 1...c5 wäre diese historische Partie nie möglich gewesen!

2.d4 ...

Mittelgambit: Weiß möchte ja so schnell wie möglich gewinnen ...

2...exd4

Angenommenes Mittelgambit ...

3.c3 ...

Nordisches Gambit: noch mehr Speed!

3...dxc3

Nähmen ist säliger denn gäben ...

4.Lc4!?!

Wenn schon, denn schon! Ein zweites Bauernopfer zwecks Entwicklungsvorsprung, mal sehen, ob er mit 4...d5! ablehnt ...

4...cxb2

Fritz in Freßlaune ... Zum ersten Mal spielt er diese Variante gegen mich - endlich!!!

5.Lxb2

Auf diese Blitz-Chance hatte ich lange gewartet ... schnell noch ein Schlückchen Darjeeling ...

5.... Sf6

Noch ist alles Theorie ... (auch: 5...d6 und 5...De7 sind gut).

6.e5!

(auch 6.Sc3 Sc6 7.Sf3)

Sg8?!

Fritz spielt übervorsichtig! Hier gilt 6...d5! als Bestes: 7.exf6 dxc4 8.Dxd8+(8.fxg7 Lb4+ 9.Sc3 Tg8=) 8...Kxd8 9.fxg7 Lb4+ 10.Sc3 Tg8= (10...Te8+?! 11.Sge2 Lf5 12.0-0-0+ Sd7 13.Sd5+/- Marshall-Duras, New York 1913); nicht ganz leicht zu finden sind noch 6...De7 7.De2!+/- (7.Sd2 d6 8.Sgxf3 Sbd7 9.0-0 Sxe5 10.Sxe5 dxe5 11.Lxe5 Le6 12.Te1) und hier nicht 7...d5? wegen 8.exf6! Dxe2+ 9.Lxe2 +-; 6...Lb4+ 7.Sc3 (7.Kf1!?) 7...d5; 6...Sg4 Alapin 7.Sf3! (7.Dxg4 d5 8.e6 f5 7.Df3 Lb4+ 8.Kf1 d5!) 7...Lb4+ 8.Sc3 0-0 9.0-0 +=

7.Sf3!

Nun ist wohl keine Theorie mehr aufzustöbern?! Jedenfalls die logische und daher beste Weiterentwicklung.

7....Lb4+(!)

Fritz drängt auf ein Endspiel mit zwei Mehrbauern.

8.Sc3

Weiß läßt sich nicht beirren – das Ziel heißt: Gewinn in 12!

8...Sc6

Nun muß Schwarz so allmählich auch mal an seine Entwicklung denken ...

9.0-0

Es ist nie zu spät ... Der letzte weiße Verteidigungszug der Partie!

9...Sge7

Solide. Wie kommt Weiß am schnellsten und nachhaltigsten weiter? Weiß hat die große Auswahl: was würde Garry spielen?!

10.Se4!

Hier läßt der Problemkomponist sein Gefühl entscheiden - und seine Vorliebe für Springer!

„Übers Knie gebrochen“ geht’s wohl kaum: 10.Sg5?! Sxe5 11.Sxf7 Sxf7. 12.Lxf7 Kxf7 13.Db3+ und nun z. B. 13...d5 14.Dxb4 c6 15.Tfxe1 Sf5, aber bitte nicht 13...Kf6??, denn nun könnte Weiß - inzwischen in Sektlaune vom Tee zum Rotwein konvertiert - ein fröhliches „Matt in 8!“ schmettern! – Zu trivial?! Lösung 1) am Schluß des Artikels!

Odermit der Brechstange“: 10.Lxf7+?!: Kxf7 11.Sg5+ Ke8 12.Db3 Tf8 13.Sxh7 Tf4 14.Se2 Th4 15.Sg5 d5 16.exd6 und Schwarz darf keineswegs zu sorglos auf d6 zurückschlagen (Lösung ® 2) bzw. 11...Kg6 12.Dg4 h5 13.De4+ Sf5 14.Sf7 Kxf7 15.Dxf5+ Kg8 16.Sd5 La5 17.Sf6+!!! und wieder darf Schwarz nicht fehlgreifen mit 17...Dxf6?! wegen Matt in 8! (Lösung ® 3) sondern muß sich das Remis sichern mit 17...gxf6(!) 18.Dg6+ Kf8 19.exf6 Tg8(!) 20.Dh7+ Kf7 21.Dh7+... – oder etwa doch 20...Ke6!? – Nein, wieder Matt in 8! „Ansage-Echos!“ (Lösung ® 4)- aber Weiß möchte nun einmal so schnell wie möglich gewinnen ...

10...0-0

Wähnt sich Schwarz nun etwa sicher?

11.Sfg5!

Plötzlich sieht die schwarze Stellung recht wackelig aus - ist sie schon objektiv verloren?!

11....h6

Der „normale“ Zug soll nun die Wahrheit an den Tag bringen ...

11...g6? 2.69 (13/47) 12.Db3 Kg7 13.Lxf7 Sf5 14.e6+ Sfd4 15.exd7

11...Ld2? 2.75 (13/47) 12.Dxd2 Sf5 13.Dd3 d5 14.exd6 cd6: 15.g4

11...Sf5? 2.87 (13/47) 12.Dh5 Sh6 13.Sf6+ Kh8 14.Sfh7: Le7 15.e6

11...d6? 3.72 (13/47) 12.Dh5 Lf5 13. Lxf7+ Txf7 14.Dxf7+ Kh8 15.exd6

11...Kh8? 3.34 (13/47) 12.Dh5 h6 mündet in die ® gespielte Fortsetzung!

Nur eine dünne Linie hält die Balance! - Bei gutem Spiel für Weiß, keineswegs aber mehr: 11...d5! 12.exd6 Lf5! 13.dxe7 Dxe7! (Lxe7 14.Sxf7!) 14.Df3 Lg6 15.a3 La5 16.Dg3 Kh8(!) 17.Df4 (z.B. Tad8 18.Tfd1 Txd1 19.Td1 Td8 20.Txd8 Sxd8 21.De3!)

Auch der gespielte Zug 11...h6 verliert bereits forciert (!!):

12.Dh5!!

Das erste Figurenopfer und Weiß schwebt wie auf Wölkchen ... Er hat seine Rekord-Gewinnstellung – in nur 12 Zügen!!!

Es droht – aus Sicht des Komponisten - Matt in 8 Zügen (!) (z.B. nach 12...b5?, was Fritz im Blitztempo tatsächlich spielte!) mittels 13.Lxf7!! (13...Kh8?? 14.Dh6+) 14.Dxf7+ Kh8 15.Sf6! Sd4 (15...Sxe5 16.Lxe5 ... 20.#) 16.Dg6! Damenopfer zwecks Zwei-Springer-Matt! 16...Se2+ 17.Kh1 Sg3+ 18.fg3: Dg8 19.Dh7+ Dxh7 20.Sf7# Was nun?!

12...Kh8(!)

1) Der normale Deckungszug 12...De8 scheitert erst einmal recht hübsch an 13.Sxf6+! mit Damengewinn oder 13...gxf6?? mit raschem Matt: 14.exf6 Sd5 15.Dxh6 Sxf6 16.Dg6+ Kh8 17.Lxf6#

2) Auf die findige Verteidigungsidee 12...Sf5 folgt 13.Dg6! mit Damengewinn oder forciertes Matt in 10 (!) Zügen mittels 13.Lxf7+! Kh8 (Txf7 14.Dxf7+ Kh8 15.Dxf5 hxg5 16.Sg5) 14.Dg6 hxg5 15.Sf6! (Dxf6 16.exf6 Txf7 17.Dxf7 Lf8 18.Dh5+ Sh6 19.fxg7+ Kg8 20.De8 Kh7 21.gxf8D nebst 22.matt)

Die Verfeinerung 12...d6 13.exd6 Sf5 scheitert hübsch an 14.Lf6! (auch 14.dxc7 oder 14.Dg6) Se5 17.Sxf7 usw.

3) Das Entlastungsopfer 12....Sxe5?! 13.Lxe5 verlängert nur das Leiden: d5 (13...Sf5? 14.Lxf7+ Txf7 15.Dxf7 nebst 16.Dxf5 usw.) 14.Sf6+! Kh8(!) 15.Sg4! Sf5 (f6 16.Sxh6 fxg5 17.Ld3 Tf5 18.Sf7+ Kg8 19.Sxd8) 16.Sxh6! Dxg5 17.Sxf7+ (mit baldigem Matt: 17...Kg8 18.Sg5 Sh6 19.Dg6 Tf7 20.Sxf7 Sf5 (!) 21.Sh6+! Kh8 22.Sxf5 Lf8 23.Lxg7+ Kg8 24.Sh6#)

Anderen Beschwichtigungsangeboten geht es ebenso:

12...La3? 4.56 13.Sxf7 Txf7 14.Lxf7+ Kh8 15.Lxa3 Df8 16.f4,

12...Lc5? 7.47 13.Sxf7 Txf7 14.Dxf7+ Kh8 15.Sf6 Sxe5 16.Lxe5,

12...Sd4? 13.Lxd4 Kh8 14.Lxf7 c5 15.Lb2 La3 16.Lxa3 (14.Sxf7 Txf7 15.Lxf7 Sc6 16.Lb2) 13.Lxd4 Kh8 14.Lxf7 c5 15.Lb2 La3 16.Lxa3). - Wenn also nach 12...Kh8(!) ein Gewinweg existiert, ist die Stellung bereits nach 11...h6 objektiv verloren! q.e.d.:

13.Lxf7!

Dem Positionsspieler genügt auch, langwieriger und mit weniger Mattgetöse: 13.e6! Sf5(!) (13...Sd4? 14.Lxd4 Sf5 15.exf7!; 13...Se5? 15.Lxe5 Sf5 15.Sxf7+; 13...f6? 14.Sxf6 Lc3 15.Lxc3; 13...Lc3? 14.Lxc3 Sf5 15.exf7) und nun:

14.Sxf7+! Txf7 15.exf7 15...d5(!) (15...d6? 16.Lxf7+ Kxg7 17.Dg4+ Kf8 18.Dg8+ Ke7 19.Sf6!! Kxf6 20.Dxd8+ Sxd8 21.f8D; 15...Sce7? 16.Ld3 d5 17.Sf6 d4 18.Se8 Sd5 19.Lf5; 14...Scd4? 16.Tfd1 d6 17.Lxd4 Ld7 18.Lb7 Dh4 19.Dxh4; 15...Sfd4? 16.Dxf5 d6 17.Df4)

16.Lxd5 Scd4 17.Tfd1! Dxd5 18.Txd4 Dxd4 19.Lxd4 Sxd4 20.Td1 (z.B. Se6 21.Db5 Lf8 21.De8 Kh7 23.Td5 b6 24.Te5 g6 25.Txe6 Lxe6 26.Dxa8 Kg7 27.Dxa7). - Aber wir Komponisten wollen ja einen zwingenden und möglichst schnellen Sieg, und zwar Matt-orientiert!

13...La3

Andere Entlastungsopfer helfen noch weniger:

13...Lc5? 14.Sxc5 14...Sg6 15.f4! (Sf5 15.Sce4) und Weiß gewinnt,

13...Sd4? 14.Lxd4 c5 15.Lb2 La3 (15...c4 15.Ld4) 16.Lxa3 b6 17.Lb2 und Weiß gewinnt.

Gar zum Matt in 8 Zügen führen:

13...Sf5? 14.Dg6, 13...Txf7 14.Sxf7+ bzw. 13...Sg8? 14.Dg6 (Dxg5 15.Sg5 / 14...hxg5 15.e6!) sowie 13...Tg8? 14.e6!

Sinnlos verlängert:

13...Lc3? nach 14.Lxc3 mit etwas späterem Matt (14...Sd4 (14...Sf5 15.Dg6) 15.Lxd4 c5 16.Lc3 Da5 17.Lxa5 b5 18.e6 b4 19.Lc7 d6 20.Lxd6 ... 24.-matt.)

14.Lxa3 Sxe5

Nun geht ...

15.f4! Sxf7

es recht ...

16.Sxf7+ Txf7

forciert weiter:

17.Dxf7 Sf5

17...Dg8? 18.De7 d5 19.Sg5 bzw. 17...d5? 18.Lxe7 Dg8 19.Dxg8+ Kxg8 20.Sc3 c6 21.f5 ...

18.Dxf5 d5

Auch ein gewonnenes Endspiel ist keine Schande – aber so weit ließ es ja Fritz-5.32 gar nicht kommen (s.o.)! 19.Dg6 dxe4 (20.Tad1! Df6 21.De8+ Kh7 22.Td8 ... auch hier wird es demnächst Matt werden!)

 

 

Nachträge:

1) Das Matt in 8 nach 13...Kf6?? in „Übers Knie gebrochen“ war „easy“: 14.Se4+! Kg6(!) 15.Dg3+ Kf7 16.Dxg7+ Ke6 17.Df6+ Kd5 18.Df7+ Kc6 19.Dc4+ Kb6 20.Dxb4+ Ka6 21.Sc5#

 

2) Nach der Brechstangen-Methode und hier 16.exd6 zeigt einzig 16...cxd6!!, daß nur das in unserer Partie gewählte Genie-und-Wahn-Verfahren - irgendwo im Niemandsland zwischen Vernunft und Phantasie – die ersten vier weißen Züge rechtfertigt ...

 

3) 17...Dxf6? 18.exf6 Lc3(!) und viele Wege führen, allerdings wieder im 8.-ten Zug - nach Rom!

 

4) 21...Ke6? 22.Tfe1+! Kd6 (22...Lxe1 23.Txe1+Kd6 24.La3+ Sb4 25.Dd3+ Kc526.Dc3+ Kb5 27.Dxb4+ Ka6 28.Da4+ Kb6 29.Tb1 Zweilinien-Matt) 23.Dd3+ Kc5 24.Tec1+ Lc3 (24...Kb6 25.Ld4+ Sxd4 26.Tab1+ Sb3 27.Txb3+ Lb4 28.Txb4+ Ka5 29.Da3 Zweilinien-Matt) 25.Txc3+ Kb6 26.Tb3+ Sb4 27.Txb4+ Kc5 28.Dd4+ Kc6 29.Tc1 Dreilinien-Matt! Also „Ansage-Echos“ und quasi Echomatts - aus Liebe zum Problemschach!

 

 

# 191: Die Genie-und-Wahn-Variante.

Oder: In wie vielen Zügen kann ein Problemschachexperte 2700 Blitz-Elopunkte
eines Schach-Androiden in die Knie zwingen?!

= Komponist gegen Computer (III), Rochade Europa S. 15

X 1999

 

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