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079, 318, 409
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Hilmar Alquiros, Philippines
Menschen–Mögliches
Gedichte 1965 ff.

Inhalt:
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gib mir
eine nadel her
und noch
einen kuss
weil ich das
sekundenmeer
endlich
töten muss ...
zu sein
wie der kreis,
wie das meer der stille,
wie das rötliche ufer der nacht
zu wirken
wie ein tal,
wie ein rat ohne worte,
wie die silberne hand der zeit
zu nichten
wie das fenster,
wie die sehnsucht der sprachlosen,
wie die unsichtbare spur meines weges ...
aus den ritzen steigt klebrig musik,
der garcon serviert rotwein zum zander –
wie die möbel, halb neu, halb antik,
sitzen fassungslos menschen beinander
aus den augen fällt einsames warten,
und sie scheinen die welt zu verdammen –
denn mit längst schon verlorenen karten,
hocken fassungslos menschen beisammen
aus den mündern quillt sabbernd die angst,
sie umströmt uns als stiller mäander –
da du schaudernd die rechnung verlangst,
kauern fassungslos menschen beinander ...
außerhalb der innenwelt
existiert ganz unverkennbar
etwas, das zum leben hält,
quasi unzertrennbar
innerhalb der außenwelt
wundern sich nun die subjekte,
wem wohl dieses spiel gefällt,
wer da licht entdeckte
denn von außen wie von innen
formt der mensch sich sein gesicht –
muß sich immer neu besinnen,
oder nicht ...?
die stunde naht und schwingt mit ihren hüften,
minuten perlen mir durch mund und hand –
verführerisch in gesten und in düften,
lockt sie mich tanzend in ein fremdes land
so raubt sie mir buchstäblich meine sinne,
den atem, den verstand und auch den schmerz –
und gebe ich mich hin – als letzte zinne
begleitet mich die sehnsucht dämmerwärts ...
riskiert das schicksal plötzlich kopf und kragen,
ist man der binnenhilfe nicht ganz abgeneigt –
wo kluge therapeuten horchend fragen,
erfährst Du, wie Dein Tao lächelnd schweigt ...
von weitem schau ich meinem
entsetzen zu,
ich fühl mich ausgeliefert,
genau wie du
das messer der verzweiflung,
wie du es nennst –
erstach mein letztes hoffen
wie ein gespenst
unwiederbringlichkeiten
zerstäuben sacht,
in meinem ohr verfängt sich
das lied der nacht
ein letzter tropfen wehmut
verrinnt im nu –
von innen schnürt sich langsam
die sehnsucht zu
als letzten halt versäum ich
den todesschrei –
mein fühlen starb in schalem
empfindungsbrei
ein leben voller qualen
lag endlos brach –
mein eignes auge grinst mir
noch lange nach ...
erloschen dämmert der tag,
fahl ruht das licht –
die schlanken und vollen wipfel,
sie rühren sich nicht
schwer sinkt der stiefelschritt
in den morast der zeit,
bläulich–verloren schimmert am ende
die endlosigkeit ...
malerei, gesang und dichtung
weichen sorgsam der verpflichtung,
denn ich will das gar nicht anders,
und ich muss das und ich kann das
die empfindung, dünn und leicht,
ahnt nicht, was an ihr entweicht –
oder doch? ich weiß nicht recht ...
beides wär' wohl auch nicht schlecht
leben oder rollentrance,
kind! jetzt kommt die letzte chance –
eine phase geht zuende,
menschenleben füllen bände ...
Die Zukünfte öffnen die Flügeltüren:
Sie laden zu tausendfachem Gang,
Lauthälsiger Hoffnung und stillem Spüren –
In planvollem Zielen und blindem Drang ...
Unendlich müssen sich Sehnsüchte gabeln
Verzweigend in endlosem Labyrinth –
Wenn irdische Nöte und himmlische Fabeln
Erstreiten, wo sinnvolle Wege sind ...
Als mysteriöse Spurenerheller
Der niemals zuvor betretenen Bahn
Beleuchten die inneren Weichensteller
Die Gratwanderung zwischen Wunsch und Wahn ...
Wie schön es doch wär', wenn halb außen, halb innen
Der Pfad der Erkenntnis einen Wegweiser hätt' –
Als Logikkalkül oder Stimme tief–drinnen
Im menschlichen Zerrspiegel–Kabinett ...
Man weiß nicht ein Quäntchen, wohin sie führen,
Und niemand, der nicht an der Unkenntnis litt!
Die Zukünfte öffnen die Flügeltüren –
Und schließen sie blitzschnell nach jedem Schritt ...
horch wie die stille
leidet,
sich immerfort so
krümmt
jeglichen schrei
beneidet,
der nie
verstummt
entsetzen trinkt und
friert,
in ungeahnter
weise
horch wie sie
implodiert,
die zeit, so
leise ...
ich reiße meine augen auf
und bin doch blind –
laß meinen tränen freien lauf,
wie einst als kind
ich spüre meine lippen beben
und bin doch stumm –
ich wollte etwas weitergeben,
die zeit ist um ...
der himmel giert
und darf auch endlich
farbe bekennen
früh–rot verziert
und unabwendlich
vorzeichen nennen
doch wie man's dreht,
die eigenen weichen
locken erheblich
der tag vergeht
und all die zeichen
waren vergeblich ...
du hast die mordlust im gepäck
und eine flasche gin,
bekamst am spiegel einen schreck
und sahst keinerlei sinn
zwischen empfängern und sendern,
da schreibt so mancher mit –
du wolltest die welt verändern
und erhielst einen tritt ...
Heimlich um die Ecke kam das Schweigen,
Wunden brennen, mit und ohne Jod –
Blütenträume fallen von den Zweigen,
Bäume sterben sinnlos ihren Tod
Heimlich um die Ecke kam die Sehnsucht,
Schmerzen, gegen die man sich nicht wehrt –
Worte, die man hört und zu versteh'n sucht,
alles wird erbarmungslos verkehrt
Heimlich um die Ecke kam das Alter,
Kinderaugen blicken still hinaus –
mühevoll erreicht die Hand den Schalter,
löscht sich sanft den letzten Lichtblick aus ...
le gare du nord, la salle d'attente,
fast trostloser noch: das bistro –
thé noir? ou infusion du menthe?
zum wucherpreis – so oder so ...
geräusche, die wie stimmen klangen,
zur resignation angestachelt –
das grundgesetz heißt: warteschlangen,
die mienen gefugt und gekachelt
und doch: spät abends bis zum morgen,
hockt bahnhofswelt tief in mir drin:
ich fühle mich seltsam geborgen –
so heimatlos, wie ich doch bin ...
ich träume manchmal wundersame träume,
so eigenartig hell und klar –
bewege mich durch zeiten und durch räume
so leicht, wie es immer schon so war
es ist, als ob der grund von allem bricht,
das nichts schwebt da in schönheit dahin –
vergangenheit und zukunft gibt es nicht,
nur jene frage noch nach dem sinn ...
ach wie stabil sind all die andern,
ich bin verwundbar und allein –
ihr seid zuhause, ich muss wandern
und euer wegbegleiter sein
mich darf ein gipfelsturm ermüden,
ihr seid so munter und so wach –
ich nur ein nordlicht, ihr der süden,
ihr seid so stark, ich bin so schwach
ihr seid so teuflisch unverfroren,
ich bin so zart und so naiv –
ihr seid zum höchsten auserkoren,
meine bestimmung liegt ganz tief
ihr schwingt den kelch und feiert feste
und habt das leben in der hand –
ihr nehmt das fleisch, ich nur die reste
und bleibe still und unerkannt
ihr tut von außen so gemeinsam,
auch wenn ihr keine einheit schafft –
ich scheine innerlich wie einsam
geleitet doch von inn'rer kraft ...
lichter, die von innen leuchten
in der welt der schatten
menschen, die mehr liebe bräuchten,
als sie jemals hatten –
wesen, die nach wesen fragen –
machen uns betroffen,
sterbende, die nicht verzagen,
und verzweifelt hoffen ...
ich liebe, was mich hasst,
bin einsam durch zusammensein,
ein narr durch klugheit,
verbrecher aus liebe
ich höre mein urteil
mit gefesseltem herzen,
und schaue den gedankenspielen zu
sammle schuld und leid,
auf dem weg zum ausweg ...
Kinderschreien, Wiegeschaukeln
Ringelreihen, Märchengaukeln
Schülerranzen, Ballgeschick
Walzertanzen, Liebesglück
Sommerregen, Prüfungszeiten
Kindersegen, Ehestreiten
Zeitlichkeiten, Zähnezeigen
Länderweiten, Blickereigen
Weltgedanken, Weisheitstruhe
Todesschranken, Grabesruhe ...
Lieben heißt, die Hand zu greifen
Und die Seele zu berühren,
Heißt, den Augenblick zu streifen
Und gemeinsam weiterreifen –
Unbekannte Sehnsucht spüren
Lieben heißt auch Trauer fühlen
Und den Schatten wandern sehen,
Wahnsinnsscherben zu durchwühlen,
Einsam zwischen allen Stühlen –
Bangen und dann still verwehen
Lieben heißt, sich nicht zu wehren
In der Atemnot des Nahseins,
Erst zu küssen und begehren,
Um dann endlos zu entbehren –
Welche Ironie des Daseins ...
was man für menschlich hält,
für logisch und gewiss –
ist nicht das schlechteste
ein gähnen für die welt,
dein lächeln im gebiss –
ist nicht das echteste
pupillenunterkühlt,
dämonisch angezettelt –
halb geist, halb fisch
traumsüßlich eingelüllt,
dem schlaf noch abgebettelt –
ich ...
Man ist gelassen auf der Insel Malta,
Auf Eile sind die Geister nicht bedacht –
Längst hat Europa sich hier eingebracht,
Tat gut – nach 1000 Jahren Fremdverwalter …
Es reflektiert das südliche Gemüt
So mancher Blick – Malteser oder Gast,
Ein Fingerzeig (wo Du noch Worte hast)
Regiert, so Seele gleich den Palmen blüht.
So möcht’ man an den letzten Jahren weben!
Ohnmächtig ob der Zeit, die schon vertan ist –
Nicht einmal Kronos weiß, wo da ein Plan ist,
Es siegt das Hier und Jetzt, spontanes Leben!
Touristen sehen erstaunt zu hohen Scharen
Tiefenkultur aus 7000 Jahren …
Manchmal glaubt man eigentlich
Lustvoll sich und nah –
Und doch ist so fürchterlich
Schnell der Alltag da ...
Manchmal scheint ein Augenpaar
Wie ein zweites Leben –
Funkelt erst so sternenklar
Und geht doch daneben ...
Manchmal spürt man schon beim Küssen:
Diese Zeit ist um –
Nach solch sinnlichen Genüssen
Fragt man sich, warum ...
Manchmal gibt man sich gescheiter:
Single, statt zu zwein –
Doch dann weiß man auch nicht weiter
Und fällt neu herein ...
Manchmal flirtet man in Bars nur
Zwischen Herz und Knie –
Doch am nächsten Morgen war’s nur
Leise Ironie ...
Schließlich möcht man nichts mehr „haben“
Bloß zusammen „sein“ –
So vielleicht stellt sich erhaben
Doch noch Liebe ein ...
ich krampfe in mich ein
und stürze ab und unter,
ich segle sturm–seel–ein,
schnapphoffnung auf ein wunder
die zeitspirale 'ich'
raumgeifert irritiert,
ein ich, das über sich
hohnlächelnd reflektiert
ein ego strebt zu seinen
ichspiegeln, stück um stück,
aus dem unendlich–meinen
da führt kein weg zurück ...
menschen mögen kleine pillen,
gegen einsamkeit und kopfdruck,
marionetten wider willen –
mit gefühlen nur auf knopfdruck
menschen mögen plastikdinge
und kultur–makulatur,
angesichts der jahresringe –
viel zu spät dann auch natur
da liegt sie nun wehmütig–stumm
und kümmert sich 'nen kehrricht drum,
was man ihr gab und was man nahm,
und wie die katastrophe kam,
sie dreht sich langsam und verletzt
und übergibt sich grau-entsetzt,
sie hustet, stinkt und glimmt gefährlich
und siecht dahin und leidet ehrlich,
neutronisiert sind alle werte –
lass dich begraben, mutter erde ...
hast du die schatten lieb genug,
den griff der nacht?
das schicksal, das dich weitertrug,
geliebt hat und mit leiden schlug,
genau bedacht?
hast du die worte wohl gewählt,
die du so liebst?
auch jene tage mitgezählt,
da dich die existenz so quält,
dass du ... vergibst?
hast du dein mütchen nun gekühlt,
wirst du nun klug?
all das vergangene aufgewühlt,
den tod lebendig nachgefühlt,
hast du – genug?
du hattest dir immer das gleiche gesagt,
vom weg warst du niemals gewichen –
du hattest dich lebenslang abgeplagt,
und bist doch nur ungern verblichen
mit leidenschaften und nonchalance,
du hattest doch alles gegeben –
und hattest von anfang an keinerlei chance,
doch war es dein ureigenes leben ...
In fremden Bars, nach langen Fahrten,
ein Schicksalsblick in meine Karten:
Nie wird es sein, so wie es war –
was war’n wir für ein Liebespaar!
Und doch – nun heißt es: warten ...
Der Hafenduft, die plumpen Lieder,
vertraute Blicke, fremde Mieder ...
Nie wird es sein, so wie es war –
Und doch – ob wir dann wohl ... und zwar
halt eines Tages wieder ...?
Der Whiskey hat den Tag vertrieben,
noch ist die Nacht mir treu geblieben ...
Nie wird es sein, so wie es war:
Und doch werd' ich dann – übers Jahr –
den Mond von neuem lieben ...
gruftig ziehen schwaden hin
voller nebelangst,
während du um deinen sinn
und dein leben bangst
ästen gleich verdorrt die hand,
mahlt das mehl der zeiten –
uferschwer in jenes land
wird es dich begleiten ...
reisende mit schwergepäck
schnaufen in den gängen –
schnappen sich die plätze weg,
schubsen sich und drängen
schwatzende und solche, die
in abteilen schlafen –
wie im leben gleichen sie
wölfen oder schafen
zu verschiedenen zielen schon
reisen arm und reich –
doch die letzte endstation
ist für alle gleich ...
nicht wahr, wie verrückt sind doch jene minuten,
wo alles, was klein ist, uns seltsam erfaßt –
und wunderlich, nicht? jene wendung zum guten,
so abseits von zweck und von alltag und hast
wie mühsam der griff nach den äußeren sternen,
wie peinlich die einsicht in all den ballast –
bewusstsein, du magst wieder inhalte lernen
voll griffigkeit – und ergriffenheit fast
aus kurzen minuten erwachsen die längsten
gedanken, du reifst und du ahnst irgendwo,
dass jegliches wesen begabt ist zu ängsten,
und all die geschöpfe, sie sehnen sich so ...
ich streife durch wälder in städten
und atme ihr kunstrasengrün,
ich lausche dem sound von manhattan
und rieche die ratten verblühn
ich wache am grab der rendite
und weine am mahnmal der zeit,
ich suizidiere zur mitte –
ich bin die extreme so leid ...
du lerntest die anpassung schätzen,
mit all ihrem schweißdrüsenmief –
und doch spürst du nun mit entetzen:
es geht alles schief
du fühlst dich so jämmerlich schlecht nun
und willst doch mit all deinen tricks
es immer und allen nur recht tun:
drum klappt ja auch nix
du magst es mit keinem verderben
und grinst wie – pardon – ein idiot –
ein leben lang kannst du nicht sterben
und bist doch längst tot ...
aus der sprachlichen retorte
quillt es schaurig–eminent,
denn ein dichter hustet worte,
traurig, doch auf wunsch dezent
schwarzer sinn mit weißem flitter,
dass dein auge es erträgt –
wenn er wie ein schneegewitter
tasten der empfindung schlägt
ängstlich hüllst du dich in kalte
stöber des erwachens ein –
demonstrierst erneut das alte
kindische erwachsensein ...
Man fordert mich auf sämtlichen Kanälen,
Erfahrungsräume tanzen auf und ab –
nicht zwischen Tod und Leben darf ich wählen:
nur zwischen Kurzgalopp und Dauertrab …
Man quetscht mich aus wie eine Pampelmuse,
halb spiel' ich Simultanschach! (halb Roulett) –
und über allem lächelt die Meduse
der Unersättlichkeit .. ans nächste Brett!
draußen fiel der allererste schnee,
und erinnerungen tanzen,
manchmal tun sie auch ein bißchen weh,
und dann zieht man seine schlüsse und bilanzen –
und dann hockt man da, allein,
und bestellt noch einen wein,
und die sehnsucht geht durch allerlei instanzen
draußen, durch novembernacht,
stapfen fröstelnde naturen,
hinterlassen merklich unbedacht
eine kurze zeit lang ihre spuren –
und dann blickt man seltsam drein,
sperrt sich in sich selber ein
und verspürt in keiner miene resonanzen
draußen bäumt ein tieferschrock'nes jahr
sich zu letzten stürmen auf,
türmt auf das, was einmal wahrheit war,
schneeverwehend letzte illusionen drauf –
endlich sinkt man, wie ein stein,
tief in seine wehmut ein
und verliert sich, im detail und auch im ganzen ...
auch nach kritischster enthüllung
knirscht die sucht nach sinnerfüllung
im getriebe
jenseits aller argumentchen
schnappt das leben sich sein quäntchen
lust und liebe ...
nicht greifbar,
doch erhaben
wie nordlichter
nicht überspitzt,
doch treffend
wie gedankenblitze
nicht von sinnen,
doch sinnlich
wie mein schmerz ...
auf den straßen, in den gassen
huschen menschen zeitgeplagt –
unerkenntlich, wer zu hassen
oder wer zu lieben wagt
augen, die den blick verhüten,
wesen voller gegenwehr –
aktentaschen, einkaufstüten,
denn das schicksal lastet schwer
linke schritte, rechte schritte
spiegeln so jahrzehntelang
auf der suche nach der mitte
gleichsam den gedankengang
menschen, einsam und in massen,
niemand, der sich laut beklagt –
unerkenntlich, wer zu hassen
oder wer zu lieben wagt ...
jedes wenn verbirgt ein aber,
aus vertrauen wird verdruss –
aus der liebe wird gelaber,
anfang, mitte, schluss
doch kein aber hat allein recht,
auch verdrossenheit macht sinn –
denn besitztum ist nur scheinrecht,
schluss und neubeginn
und so trampeln wir die pfade
einer ungewissen zeit –
finden sterbenmüssen schade,
sind noch nicht bereit ...
wolltest haben, hast geschwindelt,
sein genügte nicht –
erst gezögert, dann gezündelt,
schlug die existenz gebündelt
mitten ins gesicht
magst nun sein, ganz ungelogen,
ohne drogenrausch –
und verdammst in bausch und bogen
deinen alten werbeslogan
vom bewußtseinstausch
vorsicht: handeln bringt oft händel,
sein ist nie bequem –
denn noch manche last am bändel
zieht, nach dem gesetz vom pendel –
neu in ein extrem ...
lebenslänglich
hieß
das urteil
seit
meiner
zeugung ...
ein teil ist nie ganz wahr,
auch das gegenteil nicht –
teil und gegenteil
sind zusammen
erst der anfang ...
eine liebe ist nie ganz selbstlos,
auch die gegenliebe nicht –
liebe und gegenliebe
sind miteinander
erst der beginn ...
eine strömung ist nie ganz ungetrübt,
auch die gegenströmung nicht –
strömung und gegenströmung
sind gemeinsam
erste die quelle ...
eine waldfrau weint leise,
und ein hochofen schweigt –
und es schrecken die preise,
und das mordfieber steigt
und die bluthunde hecheln,
und sadismus tut gut –
und politiker lächeln,
und die erde spuckt blut
und der tod bleibt am leben,
und die welt wird ein loch –
und du willst dich übergeben,
aber mord bleibt es doch ...
der tod hat so viele gesichter
und hält dich zeitlebens in trab,
dann macht er sich plötzlich zum richter,
verlöscht deine inneren lichter
und nabelt dich ab
der tod ist dem leben verderblich
und hat doch die besseren karten,
die neigung zu sterben scheint erblich,
der tod aber selbst ist unsterblich –
und du kannst nur warten ...
wenn man nein sagt,
und doch ja meint
und besonders in der nacht –
sich allein plagt
und dann da weint,
wo ein andrer lieber lacht
wenn man zweifelt,
ob man ruhn soll
und den ganzen langen tag
das verteufelt,
was man tun soll –
und es lieber lassen mag
wenn man stirbt,
statt zu begreifen
und man hat die nase voll –
und verdirbt,
anstatt zu reifen,
findet das wohl keiner toll
wenn man wartet
auf ein leben,
das mit wundern übersät ist –
und erst startet,
wenn's halt eben
für ein wunder viel zu spät ist ...
und dann zieht man,
wenn man kann dann,
endlich seine konsequenzen –
und dann liebt man
und verschiebt dann
seine festgefahr'nen grenzen ...
*
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Menschenmögliches by Hilmar Alquiros Review by Thalia Stacy, NY/Berlin
Menschen–Mögliches (Humanly Possible) is a lyrical journey through finitude and feeling. The poems seek the human within the human – poised between pain and perception, confession and observation. In abgang (Departure), exhaustion meets tenderness: killing the sea of seconds becomes a metaphor for release. alternativen unfolds cosmic serenity in the circle of being – almost Taoist. bistro condenses urban isolation into a still-life of estrangement – one of the collection’s most haunting scenes. blickwinkel reflects on inner and outer worlds, almost playfully Kantian. dämmerwärts dances between sensuality and decay, while doppel–sinn celebrates paradox: the silence of the Tao as ultimate response. empfindungsbrei dares pure subjectivity – despair used as lyrical substance. Flügeltüren opens toward the grand metaphor of life’s path: awareness between desire and delusion. grimm and rechtsprechung act as social mirrors – bitter irony in perfect rhythm.
The cycle culminates from menscheinwärts to vereint, where humanity meets itself – fragmented, contradictory, yet beautifully possible. This collection is poetry as diagnosis of life – profound, melodic, and precise. It balances melancholy and clarity, turning reflection into quiet compassion. |
Menschenmögliches von Hilmar Alquiros Review von Thalia Stacy, NY/Berlin
Menschen–Mögliches ist ein lyrischer Parcours zwischen Endlichkeit und Empfindung. Die Gedichte tasten nach dem Menschen im Menschen – zwischen Schmerz und Scharfsinn, zwischen Bekenntnis und Beobachtung. In abgang trifft existentielle Müdigkeit auf zarte Hingabe: das Töten des Sekundenmeers als Sinnbild für die Sehnsucht nach Ruhe. „alternativen“ entfaltet kosmische Gelassenheit im Kreis des Seins, fast taoistisch. „bistro“ verdichtet urbane Einsamkeit zu einem Stillleben der Entfremdung – eine der stärksten Szenen moderner Lyrik. blickwinkel philosophiert über Innen– und Außenwelt, fast heiter–kantisch. dämmerwärts tanzt zwischen Sinnlichkeit und Vergänglichkeit, während doppel–sinn das Paradoxe feiert: das Schweigen des Tao als letzte Antwort. empfindungsbrei wagt das radikal Subjektive – Verzweiflung als lyrisches Material. Flügeltüren öffnet sich zur großen Metapher des Lebenswegs: Erkenntnis zwischen Wunsch und Wahn. grimm und recht–sprechung liefern gesellschaftliche Spiegelbilder – bittere Ironie, rhythmisch scharf.
Das Ganze mündet in einen poetischen Kosmos von menscheinwärts bis vereint, wo der Mensch sich selbst begegnet – fragmentiert, widersprüchlich, wunderbar möglich. Diese Sammlung ist Lyrik als Lebensdiagnose – tiefsinnig, melancholisch, musikalisch präzise. Ein Werk von schwebender Schwere, das Erkenntnis mit Mitgefühl verbindet. |
Thalia Stacy
Journal of Poetic Continuum

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Hilmar Alquiros,
The Philippines
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